Erörterungstermin: Bericht vom 15.11.2005
Scheitert Landebahn am Lärm bei Ticona?
Von: @cf <2005-11-15>

Am Dienstag, den 15.11.2005, wurde der Tagesordnungspunkt 5.1.1, Bewertung von Fluglärm, mit allen Unterpunkten, diskutiert.
Schwerpunkt der Diskussion war die Lärmbelastung für die Mitarbeiter der Ticona bei einem Ausbau. Für Fraport war es kein guter Tag: Gutachter Prof. Steinebach wies Unzulänglichkeiten in den Fraport-Gutachten nach, die selbst das RP einsah. Besprochen wurden auch andere Punkte zur Lärmwirkung, wie Belästigung und Kommunikationsstörung.

Prof. Steinebach: Gutachten fehlerhaft und unvollständig

Der Gutachter Prof. Dr.-Ing. Steinebach, Raumplaner, präsentierte eine Stellungnahme zur Ermittlung und Bewertung der durch den Ausbau zu erwartenden Lärmbelastung bei der Ticona. Die geplante Landebahn liege sehr nahe am Industriegebiet, zeigte Steinebach an einer Karte. Jeder Student im zweiten Semester wisse eigentlich, dass man solche Situationen vermeiden solle. "Hier wird systematisch etwas geplant, was man sonst entzerren möchte. Es entsteht eine Gemengelage mit den zugehörigen Konflikten. Wenn schon kein Platz da ist und man die Situation nicht vermeiden kann, müssen zumindest Untersuchungen mit dem notwendigen Differenzierungsgrad gemacht werden. Davon ist in den Gutachten nichts zu finden", kritisierte Steinebach zum Anfang. Gegenüber den Anforderungen des Scoping-Termins zu diesem Thema sei das Gutachten G12.2 in Umfang und Qualität nicht ausreichend. Er zeigte eine Karte mit Lärmwerten. Danach sei auf dem Gelände der Ticona der Dauerschallpegel zwischen 62 und 73 dB(A) zu erwarten, Maximalpegel von über 90 dB(A) würden regelmäßig auftreten. Die von den Gutachtern gewählten Grenzwerte seien für die Beschäftigten im Außenbereich überschritten.

Kritische Toleranzwerte und Präventive Richtwerte seien für Beschäftigte und Gewerbegebiete nicht abgeleitet worden, sagte Steinebach (G12.2 S. 52). Wirkungen auf Gesundheit und Belästigung der Beschäftigten seien ebenfalls nicht abgeleitet worden. Man greife auf die Auffangkriterien (Leq 70 dB(A), NAT 19x99 dB(A) bzw. 25x90 db(A)) zurück. Die Wirkung einer solchen Lärmbelastung auf die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten sei nicht untersucht worden. Ebenso habe man die Auswirkungen auf die Sicherheit und die Betriebsabläufe der Ticona nicht untersucht, hier werde auf die "UVV Lärm" (Unfallverhütungsvorschrift) zurückgegriffen. Wenn der Stand der Forschung sei, dass hierzu keine wissenschaftlichen Untersuchungen vorhanden seien, müsse die Folgerung sein, dass eine Nachbarschaft nicht möglich sei. "Man muss sagen, diese Nachbarschaft hat so viele Risiken, dass man eine direkte Nachbarschaft von Gewerbegebiet und Landebahn nicht aufrecht erhalten kann". Man müsse hier entzerren.

Sind andere Verordnungen für Beschäftigte anwendbar?

Steinebach kritisierte, im Gutachten G12.1 würde man nichts zu den Beschäftigten finden. Es würde zwar auf die 16. BImSchV, die TA Lärm und die UVV Lärm verwiesen, aber die Anwendung sei fehlerhaft und unvollständig. Folgerung: Beurteilungskriterien wie Schwellwerte, PRW und KTW für Gewerbegebiete fehlten. Eine lärmmedizinische Betrachtung für die Beschäftigten fehle. Eine Verträglichkeit der beiden Vorhaben nach anderen Regelwerten sei nicht nachweisbar. Steinebach erläuterte dann die anderen genannten Regelwerke, sinngemäß: Die 16. BImSchV ist für Straße und Schiene zutreffend. Die Herleitung der Grenzwerte ist nicht lärmmedizinisch begründet, sondern nach der Finanzierbarkeit der Schutzmaßnahmen geschehen. Dies ist inzwischen nachweisbar durch den Einwurf des (nicht verwirklichten) Verkehrslärmschutzgesetzes. Die TA Lärm regelt die Nachbarschaft zwischen Gewerbebetrieben untereinander, Fokus sind "randliche" Betriebslärmeinwirkungen. Die Herleitung der Grenzwerte erfolgt nach einer Immissionsschutztreppe. Im reinen Wohngebiet hat man einen Grenzwert von 50 dB(A). An das reine Wohngebiet grenzt das gemischte Wohngebiet, hier sind es 55 dB(A). Danach kommen in der Reihenfolge Mischgebiete (60 dB(A)), Gewerbegebiete (65 dB(A)) und Industriegebiete (70 dB(A)); es werden jeweils in einer Treppe 5 dB(A) aufaddiert. Die UVV Lärm hat als Fokus betriebsbedingte Geräusche und kommt hier auch nicht in Betracht.

Die TA Lärm sieht für Industriegebiete einen Richtwert von 70 dB(A) vor. Eine Überschreitung dürfe nur in seltenen Fällen (10 Tage im Jahr) vorkommen, über Betriebszeiten und Nicht-Betriebszeiten würde nicht gemittelt, und es gäbe auch Zuschläge für besondere Störwirkung von spezifischem Lärm. Ein Vergleich der mit der TA Lärm ermittelten Pegel mit den Pegeln aus dem Gutachten G12.1 sei nicht möglich, weil die Pegel nach anderen Regeln ermittelt würden. "Man kann nicht den Lärm nach dem einen Regelwerk berechnen und nach dem anderen beurteilen. Genau das geschieht hier", sagte Steinbach. Die UVV Lärm käme nicht in Frage, weil es auch hier keine Langzeitmittelung, dafür aber Impulszuschläge etc. gäbe. Die durch diese Verordnung erfassten Arbeitsgeräusche würden im Gutachten G10.1 überhaupt nicht erfasst.

Steinebach stellte die These auf: Ticona, Mönchhof und Taubengrund sind nach dem Antrag die mit Fluglärm höchstbelasteten Gebiete. Intermittierende Beschallung mit Spitzenpegeln bis zu 110 dB(A) kämen anderswo nicht vor. Gerade in einer solchen Situation seien besonders eingehende, detaillierte und konservative Prognosen und Simulationen des Fluglärms nötig, auch der Gesamtlärm müsste betrachtet werden. Die einzige Karte in den Unterlagen sei in G10.1, S. 72, mit einer Isophone von 25x90 dB(A). "Hier kann man nicht mal die Ticona erkennen, geschweige denn Details." Selbst mit der Lupe sei die Ungenauigkeit noch plus/minus 200 Meter. Die Ungenauigkeit bei der AZB wäre noch einmal ebenso groß. Geländeeffekte seien nicht berücksichtigt (Landebahn liegt höher). Dies könne keine vernünftige Datengrundlage sein, eine tragfähige und nachvollziehbare Beurteilung der Situation bei Ticona sei so nicht möglich. Hochrechnungen würden aber ergeben, dass die Ticona total im Bereich 25x90 dB(A) (PRW) liege.

Lärmschutz: ein Netz über Ticona auswerfen?

Steinebach forderte zum Schluss:

  • Die Arbeitsbevölkerung muss bei Gesundheitsgefahren wie die Wohnbevölkerung behandelt werden
  • Eine angemessen genaue Simulation und Darstellung der zu erwartenden Geräuschbelastung muss geliefert werden, differenziert nach Betriebsrichtung und unter Einbeziehung von Unsicherheiten
  • Eine Darstellung von Schutz- und Minderungsmaßnahmen bei Überschreitung relevanter Grenzwerte, unter anderem des Kriteriums 25x90 dB(A), ist notwendig. Fraport spreche von "arbeitsorganisatorischen Maßnahmen". "Wie machen wir das - ein Netz über das Werk auswerfen? Oder nicht mehr fliegen?"
  • Eine Gesamtbetrachtung aller Lärmarten muss durchgeführt werden. Man muss das tun, es wird vom Gesetz gefordert, auch wenn es Schwierigkeiten macht.

Über den Vortrag von Prof. Steinebach wurde längere Zeit sehr kontrovers diskutiert, es gab sogar Hickhack mit dem RP, weil Fraport sich zunächst weigerte, die Fragen der Ticona-Anwälte zu beantworten, und statt dessen einen vorbereiteten Vortrag halten wollte. Zum ersten Mal, so weit die Erinnerung zurückreicht, entschied Sitzungsleiter Höpfner für die Einwender, Fraport musste die Fragen beantworten. In der folgenden Diskussion waren folgende Themen dominierend:

  • Welche Lärmgrenzwerte sollen für die Beschäftigten der Ticona gelten?
  • Wie wurde die Belastung der Beschäftigten ermittelt?
  • Ist der Arbeitgeber verantwortlich für die Einhaltung der Lärmgrenzwerte auf dem Betriebsgelände, einschließlich des Fluglärms?

Welche Grenzwerte gelten für Arbeitnehmer?

Rechtsanwalt Sellner beschwerte sich, dass bewusst eine "Gemengelage" geplant würde wie von Prof. Steinebach beschrieben. Für diese komplexe Situation seien die Unterlagen viel zu dünn, es gebe große Defizite und weiteren Untersuchungsbedarf. Dennoch hätten die Gutachter die Aussage gewagt, es seien für die Beschäftigten der Ticona keine Gesundheitsgefahren gegeben. Sellner zitierte aus dem Gutachten G12.2 S. 52. Dort stehe, dass der Arbeitgeber für den Lärmschutz auf dem Betriebsgelände zuständig sei und dafür sorgen müsse, dass die Grenzwerte eingehalten werden - auch für den Fluglärm. Er widersprach dieser Auffassung der Fraport-Gutachter. Der Arbeitgeber könne nur den Lärm, der am Arbeitsplatz selbst entsteht, beeinflussen. Sellner führte aus, einem Arbeitnehmer könne etwas mehr zugemutet werden als einem Normalbürger, weil er sich freiwillig für den Arbeitsplatz entschieden habe. Das könne man aber nicht auf mögliche Gesundheitsschäden durch Fluglärm anwenden. Der Gesundheitsbegriff für Arbeitnehmer könne kein anderer sein als für den Rest der Bevölkerung, man bestehe darauf, dass dieselben Maßstäbe gelten müssten: "Wir können dem Arbeitnehmer nicht sagen, er muss mehr Lärm in Kauf nehmen als andere von der Arbeit her, und auch noch mehr Fluglärm ertragen". Die Arbeitsschutznormen seien bezüglich des Fluglärms nicht anzuwenden, weil Arbeitsschutz eine ganz andere Zielrichtung hat.

Fraport - keine wissenschaftliche Erkenntnis

Prof. Scheuch, Fraport-Gutachter, antwortete, wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirkung von Fluglärm auf Beschäftigte lägen nicht vor, nur zu anderem Lärm. Man habe sich auf die anderen existierenden Verordnungen bezogen. Dabei habe man sich nicht zur Rechtslage geäußert, man habe nur Vorschriften und Normen genannt, denen wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde liegen. Die Verantwortung für den Gesamtlärm liege beim Arbeitgeber, er müsse die Arbeitnehmer vor dem Lärm schützen. Auch den aus dem Umweltbereich herrührenden Lärm müsse er berücksichtigen. Gegebenenfalls müsse er sich mit dem Flughafenbetreiber über den Fluglärm auseinandersetzen. Er (Scheuch) kenne sich im Arbeitsrecht aus. Die Belästigung bei der Arbeitstätigkeit sei ohne Belang, solange nicht die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt sei. Ganz konkrete Daten zur Situation bei der Ticona lägen ihm nicht vor, das sei nicht Sache der Lärmmediziner.

Auf die Frage, ob die Lärmmediziner geringere Anforderungen an den Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer gegenüber der Bevölkerung in Wohngebieten sehe, meinte Scheuch, die Rechtsprechung für Verkehr habe diese Frage mit Ja beantwortet. Die Mediziner hätten versucht, die Erkenntnisse für die Wohnbevölkerung auf die Arbeitsbevölkerung zu übertragen. Sie gingen davon aus, dass der Tag von 6-22 Uhr dauere, die Tätigkeit am Arbeitsplatz nur 8 Stunden. Demnach könnte der Arbeitnehmer höhere Pegel verkraften. Es gebe keine belastbare Literatur, mit der man ein Modell für die Kombinationswirkung aus Arbeitslärm und Umweltlärm ableiten könne. Die Wirkung des Lärms auf die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten habe man nicht untersucht, man habe nur sonstige Kriterien aus dem Arbeitsbereich angelegt. Zur Fluglärmwirkung gäbe es hier auch keine brauchbaren Untersuchungen, zu anderem Lärm schon.

Ein Fraport-Anwalt ergänzte, man glaube nicht, dass die "Gemengelage-Problematik" auf das Nebeneinander zwischen Gewerbetrieben und Verkehrswegen anwendbar sei. Prof. Steinebach antwortete, er kenne sich mit dem Begriff aus weil er ein Buch darüber geschrieben habe. Er fragte, ob wirklich keiner ernsthaft daran gedacht habe, dass man neue Gemengelagen nicht planen solle, nur mit den schon vorhandenen müsse man umgehen: "Es wird hier ein Problem geschaffen, dass unter Konfliktaspekten vermeidbar wäre". Es sei allgemein akzeptiert, dass man keine neuen Gemengelagen planen soll. "Man kann nicht einfach andere Vorschriften heranziehen, weil dann das Problem weniger schlimm aussieht."

ZRM-Gutachter Dr. Maschke kritisierte die Aussage, dass keine wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Kombinationswirkungen von Lärm in und außerhalb der Arbeit auf die Gesundheit vorhanden seien. Er verwies auf eine Untersuchung des Robert-Koch Institutes hierzu und warf den Gutachtern vor, keinerlei Literaturrecherche vorgenommen zu haben: "Eine Zusammenstellung der gängigen Normen kann jeder Student heranschaffen, von Ihnen erwarte ich, dass Sie den aktuellen Kenntnisstand darstellen und dann auch alle vorliegenden Gutachten dazu gelesen haben. Dann müssten Sie aus den vorliegenden Erkenntnissen Entscheidungsgrundlagen vorbereiten", meinte Maschke in Richtung Fraport-Gutachtern.

Fluglärmschutz: Sache des Arbeitgebers?

Zu der Annahme, dass der Lärm am Arbeitsplatz nur 8 Stunden auf den Arbeitnehmer einwirkt, wurde eingewendet, man müsse dann auch den Lärm einbeziehen, der den Rest des Tages auf den Arbeitnehmer wirkt. Man ginge bei dieser Annahme davon aus, dass der Arbeitnehmer zu Hause Ruhe hat und sich erholen kann, das müsse nicht zutreffen: "Wer im Rhein-Main-Gebiet arbeitet, wohnt nicht im Schwarzwald". Ein Ticona-Arbeiter könnte im konkreten Fall in Raunheim wohnen und hätte dann zu Hause ähnlichen Fluglärm wie am Arbeitsplatz. Prof. Scheuch sagte dazu, eine solche Untersuchung sei nicht zu leisten, das erforderliche Niveau der Erkenntnis liege nicht vor. Maschke freute sich, dass Scheuch "sichere Erkenntnisse" verlange und sagte, es gebe Untersuchungen auch hierzu.

Zur Frage der Verantwortung des Arbeitgebers für den Schutz vor unzulässigem Lärm präzisierte Scheuch, der Arbeitgeber müsse die Arbeit entsprechend organisieren, dass Grenzwertüberschreitungen nicht vorkommen. So könnte man am besonders lärmbetroffenen Pförtnerhaus alle 2 Stunden das Personal auswechseln. Man könne auch (Ausgleichs-) Forderungen an Fraport stellen. Die Ticona-Anwälte sagten dagegen, die Planfeststellungsbehörde müsste für die Bewältigung dieses Problems sorgen: "Wenn ich einen PFV-Beschluss mache und dort steht, wir kümmern uns nicht um Schutzmaßnahmen für die Arbeitnehmer der Ticona, dies sei die Aufgabe des Arbeitgebers, sei das ein Verstoß gegen das Gebot der Problembewältigung. Die Ticona braucht die Außenarbeiter. Die Arbeitnehmer müssen dadurch geschützt werden, dass Überschreitungen der Maximalpegel (z.B. 25x90 dB(A) oder 16x99 dB(A)) nicht vorkommen können. Sonst ist der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig". Andere Einwender sagten, auch im Gewerbegebiet Taubengrund bestehe ein solches Problem.

Menschen in Betrieben als Versuchskaninchen?

Weiterhin wurde vorgebracht, das Grundrecht auf Schutz der Gesundheit könne nicht am Werkstor enden. Die verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle gelte überall, das Verursacherprinzip müsse angewendet werden: "Fraport verursacht das Problem. Die Gewerbegebiete sind länger das als Ihr Vorhaben." Die Schutzpflichten fielen dem Verursacher zu. Dazu Prof. Scheuch: "Das Grundgesetz gilt auch hinter dem Werkstor, nur die Verantwortlichkeiten ändern sich." Rechtsanwalt Schröder führte aus, man könne gar nicht kombiniertem Lärm sprechen, es handele sich bei der Störung in beiden Fällen um Fluglärm - eine Störung aus einer Quelle. Fraport verursache einen rechtswidrigen Eingriff in die Rechte des Arbeitnehmers. Natürlich müsse der Arbeitgeber dagegen vorgehen. Er muss den Arbeitnehmer auch vor Diebstahl schützen, damit ist der Dieb aber nicht aus der Verantwortung".
Besonders prägnant formulierte Rechtsanwalt Berghäuser die Kritik: "Welche Konsequenz soll man aus den mangelnden sicheren Erkenntnissen über die Auswirkungen ziehen? Man könnte den Flughafenausbau unterlassen. Sie sagen, Sie machen es trotzdem und haben keine Idee über das Schutzniveau. Sie benutzen die Menschen in diesen Betrieben als Versuchskaninchen." Während die Einwender der Meinung waren, die Frage des Schutzes der Arbeitnehmer sei nicht ausreichend erörtert, meinte Fraport, man habe alles gesagt, es gebe eben konträre Meinungen".

Rechtliche Stellungnahme des RP: Nacharbeit erforderlich

An dieser Stelle gab Erörterungsleiter Dr. Gaentzsch eine seiner rechtlichen Stellungnahmen ab. Zur Beziehung Arbeitgeber - Arbeitnehmer sagte er, der Arbeitsschutz habe nichts mit den Abwehransprüchen von Immissionsgestörten zu tun. In der Beziehung Arbeitnehmer - Emittent gelte das Immissionsschutzrecht, dies schütze den Betroffenen vor den Emissionen, egal ob der Arbeitnehmer, Eigentümer oder sonst etwas sei. Möglicherweise hätten die Beschäftigten selbst einen Abwehranspruch gegen den Fluglärm. Im Geltungsbereich der BImSchV würde der Eigentümer an Stelle des Mieters treten und hätte Anspruch auf passiven Schallschutz. Im Luftverkehrsrecht gebe es keine ausdrückliche Regelung. In der Beziehung Unternehmen - Fraport könne auch das Immissionsschutzrecht maßgebend sei, es sei keine Rechtsprechung zu einem solchen Fall bekannt. Wenn ein Wohngebiet an eine Unternehmen heranrücken wolle, habe das Unternehmen den Anspruch, dass es nicht gebaut werde, wenn dadurch der Betrieb gefährdet wäre.

Folgendes könnte sein, wenn der notwendige Gesundheitsschutz bei Ticona etc. nicht erreicht werden könne:

1. Die Landebahn kann nicht gebaut werden
2. Das Unternehmen muss verlagert werden.


Wenn der Gesundheitsschutz durch Maßnahmen erreicht werden könne, gebe es ein Problem der Abwägung. Die "Gemengelage-Problematik" spiele hier hinein. Bei zwei Industriegebieten, von denen eines explosive Stoffe verarbeitet, wäre das Problem durch Abstand voneinander zu lösen. Die Rechtsprechung sage, dass man nicht durch Planung Situationen schafft, die man nachher wieder beseitigen müsse. "Wir haben erkannt, dass sie dies geltend machen". Zum für Arbeitnehmer zumutbaren Lärm meinte Gaentzsch, es müsse ein gemeinsamer Nenner für die Berechnungen gefunden werden. "Ich habe den Eindruck, dass hier nachgearbeitet werden muss. Das Problem kann man nicht ohne Grundlagen durch Diskutieren lösen".

Maximalpegel ad adsurdum geführt ...

Im folgenden ging es um die konkrete Lärmbelastung der Außenarbeiter bei Ticona. Die Pegel-Häufigkeitskriterien wurden diskutiert. Im Gutachten G10.1 sei von 8,7 x 99 dB(A) die Rede. Pro Tag Ostbetrieb (dann wird Ticona überflogen) gebe es "26 x 99 dB(A)", das Jansen-Kriterium sei also überschritten, trotzdem sei für Ticona kein Schutz vorgesehen, wunderte sich Prof. Steinebach, der nur an diesem Tag anwesend war und die vorangegangene Diskussion um gemittelte Maximalpegel nicht mitbekommen hatte. Und nun erläuterten die Professoren Scheuch und Spreng dem ungläubig lauschenden Professor, die Maximalpegel-Kriterien, z.B. "25x90dB(A)", würden erst einmal auf 8 Stunden Arbeitszeit bezogen und dann auch noch über die 6 verkehrsreichsten Monate gemittelt. Nochmals fragte Steinebach nach: "An einem Tag "20x99 dB(A)" ist wirklich tolerabel?" "Eindeutig ja", meinte Spreng, wenn es nicht ein halbes Jahr lang jeden Tag so sei. "Wo steht etwas von Mittelung im Gutachten?", war die Frage. Die Professoren und Fraport sagten, in G12.1 Seite 1 stehe doch, Grundlage des Lärmschutzkonzepts seien die 6 verkehrsreichsten Monate, das beinhalte die Mittelung. Der Lärm sei nach AZB berechnet, "da stecke das drin".

Auch andere Rechtsanwälte, die die Lärm-Debatte der letzten Tage nicht verfolgt hatten, staunten: "Vielleicht sind wir hier in der gleichen Gefahrengemeinschaft der Nichtwisser", meinte Rechtsanwalt Baumann. Er habe diesen Hinweis auf die Mittelung den Unterlagen nicht so entnommen. Es sei einmalig: für den Standort Frankfurt würde eine Berechnungsmethode gewählt, die die Betroffenen benachteilige, beklagte er sich.
Auch den Vertretern der Ticona dämmerte jetzt, warum die Fraport-Gutachter keine Schutzmaßnahmen für das Werk vorsehen, obwohl bei Ostbetriebsrichtung alle Schutzkriterien hier deutlich überschritten sind. "Die Mittelung von Maximalpegeln ist neu, das habe ich erst jetzt begriffen", kritisierte Rechtsanwalt Sellner. "Es wird hier lärmmedizinisch bestätigt, dass man Maximalwerte mitteln darf. Dadurch wird die Beachtlichkeit der Maximalpegel ad absurdum geführt. Das kann doch nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung sein. Mit dieser Vorgehensweise dürfte Fraport spätestens vor dem Bundesverwaltungsgericht scheitern. Die Diskussion ist nicht beendet, sie wird jetzt erst beginnen". Fraport kommentierte bissig: "Dann hat der Erörterungstermin ja wenigstens eine positive Folge, dass Sie es jetzt begriffen haben".

Forderungen von Rechtsanwalt Baumann

Rechtsanwalt Baumann wies auf die vielen Außenarbeiter im Bereich der Offenbacher Stadtwerke hin. Diese Menschen müssten draußen arbeiten und hätten keine Möglichkeit, dem Lärm zu entfliehen: "Die können nicht irgendwann in den Schutzraum rennen und können sich auch am Abend nicht vom Lärm erholen". Fraport habe die Belange der Beschäftigten einfach ausgeblendet. "Wenn Sie gesagt hätten, Sie hätten es vergessen und es wäre nicht Ihr Auftrag gewesen, wäre ich nicht böse gewesen. Aber Sie missachten die Rechte der Arbeitnehmer und versuchen den Kopf aus der Schlinge zu ziehen", sagte er in Richtung der Fraport-Professoren. Man mute Arbeitnehmern auf manchen Jobs mehr Lärm zu, sie erhielten dafür aber eine Gegenleistung, gewissermaßen Schmerzensgeld. Der Fluglärm werde aber von außen herangetragen, dafür bekäme man nichts. "Vielleicht wurde hier das erkenntnisleitende Interesse in die falsche Richtung gelenkt", schloss Baumann das Thema "Arbeitnehmer".

Baumann trug noch weitere Forderungen vor. Er verlangte eine Herabsetzung der Pegel, ab denen eine Kommunikationsstörung angenommen wird. Beim Schutz des Schlafes müssten alle nächtlichen Flüge berücksichtigt werden und das Konzept des Aufwachpotentials verwendet werden. Beweise für "6x60" seien nicht vorhanden. Prof. Jansen hätte ursprünglich sein 6x60-Kriterium auf eine Nacht bezogen, er habe das Kriterium niemals gemittelt. Baumann fragte sich, wieso Jansen dieses Gutachten unterschrieben haben, er kompromittiere damit seine eigene Arbeit, nur weil Fraport meine die spezifischen Probleme hier so lösen zu können. Er forderte einen Grenzwert von 30 dB(A) im Schlafraum (Leq), der nicht überschritten werden dürfte, sonst seien Fälle wie 90 Ereignisse zu 50 dB(A) zulässig. Einer der Gutachter rechtfertigte die Fraport-Vorschläge damit, nach der DLR-Studie zu urteilen, würden 6 Aufwachreaktionen im Labor nur 3 Aufwachreaktionen im Feld gegenüber stehen. Bei der Belästigung forderte Baumann, einen Grenzwert von 55 dB(A) zugrunde zu legen, wie z.B. beim UBA gefordert. Werte darüber sollten vermieden oder entschädigt werden. Generell sollte sich die Entschädigung an der Zahl der Störungen, z.B. Kommunikationseinschränkungen, orientieren. Zur Berechnung sei die 100:100-Regel, nicht die Sigma-Regelung heranzuziehen und 900 000 Flugbewegungen zu berücksichtigen.

Zum Thema Entschädigung trug Baumann vor, bei hoher zusätzlicher Belastung werde das Wohnen unzumutbar. Die Entschädigungen müssten in die Abwägung einbezogen werden, da herauskommen könne, dass sich der Ausbau dann wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Beim Ausbau in Berlin habe man eine Summe von 3,5 Milliarden kalkuliert. Fraport habe in den Gutachten nichts zu Entschädigungen gesagt, sondern diese Aufgabe der PFV-Behörde zugeschoben. Da komme eine riesige Arbeit auf die Behörde zu, wenn es keine Untersuchung von Fraport dazu gebe.

Belästigung und Kommunikationsstörungen

Prof. Jansen antwortete auf die Forderungen zur Belästigung. Belästigung würde durch Befragung ermittelt, dabei gebe es meist eine Skala von 1-9. Dabei sei 1-3 sei "wenig belästigt", 4-6 "belästigt" und 7-9 "Highly annoyed" (erheblich belästigt). Etwa 28% fühlten sich bei bestimmten Pegeln "highly annoyed", wenn die erhebliche Belästigung bei 50% der Skala anfange, gebe es natürlich mehr Belästigte. Generell nehme man als Zumutbarkeitsgrenze einen Pegel, bei dem sich 28-30% der Betroffenen stark belästigt fühlen. Die Gutachter hätten hier 62 dB(A) [nach Sigma-Regel!] herausgefunden. Man müsse in Betrachtung ziehen, dass nur 1/3 der Belästigung durch den Lärm erklärbar sei, 1/3 durch persönliche Faktoren und 1/3 sei ungeklärt. Ein Privateinwender regte sich über die "Unterstellung, die Belästigung liege gar nicht am Lärm" heftig auf. Jansen meinte, er finde 30% zu hoch.

Prof. Spreng nahm zu Kommunikationsstörungen Stellung. Bei 4 Meter Abstand (typisch in der Familie) gebe es bei 39-40 dB(A) "gute" Kommunikation, 35 dB(A) sei der Schwellwert. "Fluglärm ist kein Dauerschall, selbst in Frankfurt nicht", meinte Spreng. Der Störpegel steige an, bei Überschreitung gebe es erst einmal keine Störung, sondern die Güte der Kommunikation" würde abnehmen. Dies sei aber akzeptabel. Es sei eine beachtliche Anpassung möglich (z.B. lauter sprechen), das geschehe unbewusst und belaste den Körper nicht. Das Verhältnis von Signal zur Störung sei von Bedeutung. Auf 1 m Abstand könne man noch bei 79 dB(A) kurze Zeit sehr gut kommunizieren. Der Grenzwert-Vorschlag von 59 dB(A) für Kommunikationsstörung ergebe sich als Mittel von 62 dB(A) und 36 dB(A) (gerade noch befriedigende Kommunikation).

ZRM-Gutachter Dr. Maschke wandte sich zunächst seinem Lieblingsgegner Prof. Jansen zu. Er nannte eine Studie, die von Jansen zum Beweis seines Kriteriums angeführt worden war. Es seien dort keine Reaktionen bei Pegeln unter 60 dB(A) aufgetreten, habe Jansen als Ergebnis des Gutachtens genannt. Er habe die Studie gelesen und im Versuch seien gar keine Pegel unter 60 dB(A) angewendet worden. Er sei böse immer Studien genannt zu bekommen, die nicht die versprochenen Daten enthielten, meinte Maschke. Der Schwellenwert für Kommunikation von 35 dB(A) sei zu hoch, in der eigenen Tabelle der Gutachter seien Werte unter 35 dB(A) enthalten, z.B. für Kleinkinder. Man könne bei Betrachtung der Kommunikationsstörung nicht über den SEL mitteln, man müsse die absolute Pegelhöhe berücksichtigen. Man müsste sich Gedanken machen, wieviel Zeit am Tag für ungestörte Kommunikation nicht zur Verfügung stehen dürfe, forderte Maschke vom RP. Dies sei ein sinnvolleres und verständlicheres Kriterium als ein Dauerschallpegel. Hier in Frankfurt gebe es sehr viele Überflüge, die Kommunikation sei über eine Stunde lang eingeschränkt. Man dürfe nicht erst handeln, wenn die Kommunikation unmöglich werde.

Sprüche des Tages:

  • "Hier wird systematisch etwas geplant, was man sonst entzerren möchte."
    Prof. Steinebach, Raumplaner, zur Nähe von Nordwestbahn und Ticona
  • "Wie machen wir das - ein Netz über das Werk auswerfen? Oder nicht mehr fliegen?"
    Prof. Steinebach, Raumplaner, zur Idee von Fraport, durch "arbeitsorganisatorische Maßnahmen" die Arbeitnehmer der Ticona vor Fluglärm zu schützen
  • "Vielleicht sind wir hier in der gleichen Gefahrengemeinschaft der Nichtwisser"
    Rechtsanwalt Baumann zur Frage, ob die Fraport-Mittelung der Maximalpegelkriterien einsichtig ist


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Der von der Stadt Hattersheim bearbeitete Übersichtsplan zeigt das ganze Ausmaß der von Fraport beantragten Bauvorhaben. Die geplante Landebahn rückt nicht nur an Kelsterbach, sondern auch an Hattersheim ganz dicht heran.   Mehr»
RP: Warum Bad Homburg "nicht vom Ausbau betroffen" ist
Die Rechtsauffassung des RP zur Betroffenheit und wichtigen anderen Fragen
Von: @cf <2005-01-20>
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PFV Landebahn: Beispiel-Einwendungen
Ideen und Muster für Ihre Einwendung im Planfeststellungsverfahren
Von: @cf <2005-02-06>
Sie suchen nach Anregungen für Ihre Einwendung? Verschiedene Muster-Einwendungen und Beispiele haben wir hier für Sie zusammengestellt.    Mehr»
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