Nachtruhe ist Menschenrecht
Bericht vom 1. Christlich-sozialethischen Kongress Köln (CSKK) am 16. Sept. 2002
Von: @CF <2002-10-29>

Bericht vom 1. Christlich-sozialethischen Kongress Köln (CSKK)

Nachtruhe ist Menschenrecht

am 16. September 2002 in Köln

In der Umgebung des Flughafens Köln Bonn werden Tausende von Menschen jede Nacht durch Fluglärm aus dem Schlaf gerissen. Denn dieser Flughafen hat eine Verkehrsspitze in der Nacht, vor allem durch den nächtlichen Fracht-Flugverkehr. Ein Landtagsbeschluß von 1996, nach dem unter anderem eine nächtliche Kernruhezeit für Passagierflugzeuge von 0-5 Uhr und ein Nachtflugverbot für schwere und besonders laute Frachtmaschinen eingeführt werden sollte, sollte die Situation hier zumindest entschärfen. Doch die entscheidenden Passagagen wurden bisher von der Regierung nicht umgesetzt, und so lärmen die Flugzeuge weiterhin nachts.

Doch in der Region formiert sich Widerstand. Die "Ärzteinitiative für ungestörten Schlaf" hat vor kurzem in die wissenschaftliche und politische Debatte eingegriffen und energisch gefordet, die Gesundheit der Menschen gegen den nächtlichen Fluglärm zu schützen. Nun haben zum ersten Mal die beiden großen Kirchen gemeinsam Position gegen den Krach in der Nacht bezogen. Auf dem 1. Christlich-sozialethischen Kongress "Nachtruhe ist Menschenrecht" sollten die verschiedenen Aspekte des Nachtflugs - Lärmwirkung und Gesundheit, Arbeitsplätze, Rechtsfragen, soziale und ethische Aspekte - beleuchtet und eventuell Lösungsperspektiven für den Konflikt aufgezeigt werden. Experten aus verschiedenen Bereichen - Kirche, Medizin, Wirtschaft, Recht - nahmen zur Nachtflugproblematik Stellung.

 

Vortrag Prof. Dr. Frank Crüsemann, Kirchliche Hochschule Bethel:
"Lärm als Gewalt - Ruhe als Heil"

Zu Beginn stellte der Theologe Prof. Dr.Frank Crüsemann von der Kirchlichen Hochschule Bethel dar, daß die Kirchen ureigene Argumente aus der Bibel zu dem Konflikt beizutragen haben - in der normalen Flughafendiskussion eher ungewohnt.

Crüsemann interpretierte Lärm als eine Art von Gewalt, die von jeher als bedrohlich empfunden worden sei. Schon in historischen Mythen hätten die Götter sich über die Menschen geärgert, weil diese zu viel Lärm machten und die Götter deswegen nicht schlafen konnten: sie bestraften die Menschen mit einer Sintflut (Mächte des Chaos), die "mit Tosen und Brausen" (allgemeine Bezeichnung für Krach) über die Menschen kam und diese verschlang. Auch in der Bibel kommt ein solches Ereignis vor: die Menschen wurden mit einer Sintflut bestraft, weil Gewalt eingedrungen war. Doch bekanntlich hat der Versuch, der Gewalt mit Gegengewalt (durch die weitgehende Ausrottung der Menschen) nichts geholfen, die Menschen blieben, wie sie waren. Danach setzte Gott auf eine andere, mühsame Strategie: die Zähmung der Gewalt durch das Recht.

Auf der anderen Seite sei Ruhe auch ein zentrales biblische Heilsgut, erläuterte Crüsemann weiter. Ruhe bedeute nicht nur Ausruhen, sondern auch unbedrohte Sicherheit: "unter einem Feigenbaum sitzen und nicht aufgeschreckt werden". Gott habe diese Ruhe für alle Menschen am 7.Tage vorgesehen und ruhte auch selbst. Das Fehlen dieser Möglichkeit sei zerstörerisch für die Schöpfung und das Leben. Das Recht auf Ruhe sei eines der ersten sozialen Rechte - es gilt auch für Arme, sogar für Tiere - und musste in biblischer Zeit und später immer wieder neu erkämpft werden, gegen oft übermächtige ökonomische Interessen. Auch das Recht auf saubere Luft und sauberes Wasser sei ähnlich zu sehen. Crüsemann schloss seinen Vortrag mit dem Statement, Lärm als eine chaotische Macht könne den gottgegebenen Rhythmus des Lebens bedrohen und müsse daher mit den Mitteln des Rechts gezähmt werden.

Wenn die Kirchen also ihre Wurzeln ernst nehmen würden, sei eigentlich ganz klar, wie sich sich zu Nachtflügen, Fluglärm und Flughafenausbau zu stellen hätten.

Der Vertreter des Flughafens sieht das natürlich anders. In der Diskussion nach dem Vortrag bestand er darauf, dass der Flughafen seit 1959 das Recht auf Nachtflüge habe, was man ihm nicht wegnehmen könnte, und wer die biblische Ruhevorstellung umsetzen wolle, der wolle eine andere Gesellschaft. Er nannte New York als Vorbild - eine Stadt, die nie schläft. Andere Diskussionsteilnehmer sahen New York aber eher Beispiel einer Stadt, die die Balance verloren hat und die Menschen krank macht.

 

Vortrag Dr. Alexander Samel, Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, Köln
"Untersuchung von Nachtfluglärmwirkung - Design und Zwischenergebnisse der DLR-Studie"

Dr. Samel gab zu Beginn seines Vortrages eine kurze Übersicht über die Zwischenergebnisse der DLR-Studie zur Wirkung von nächtlichem Fluglärm auf den Schlaf. Die Studie ist Teil des größeren Projektes "Leiser Flugverkehr". Insgesamt sollen im Projekt 192 Probanden in ca. 2500 Testnächten teils im Labor, teils zu Hause, untersucht werden.

Samel schilderte einige bisherige Ergebnisse der Laboruntersuchunegn. Es wurden eine geringe Verkürzung der Gesamtschlafdauer, eine Verkürzung des Tiefschlafes um 9 Minuten, eine Zunahme der Aufwachreaktionen mit dem maximalen Schallpegel, steigende Belästigung mit steigenden Schallpegeln und eine geringe Störung des Befindens nach einer Lärmnacht gefunden, jedoch keine Änderung bei der Ausscheidung von Streßhormonen. Die Leistungsfähigkeit nach einer Lärmnacht sei uneinheitlich, je nach Aufgabe mal schlechter, mal besser gewesen. Es handele sich um Zwischenergebnisse, betonte Samel, aus denen noch keine endgültigen Schlüsse gezogen werden könnten. Es gebe Hinweise, dass Fluglärm krank machen könne, aber es sei nichts bewiesen. Den Zwischenbericht findet man im Internet unter www.me.kp.dlr.de/me-fp/deutsch/fluglaerm/literatur.htm.

Die DLR-Studie wird - nicht nur in Köln - kontrovers diskutiert und interpretiert, was die Nerven der beteiligten Wissenschaftler offensichtlich strapaziert. Dr. Samel wehrte sich nicht nur gegen Kritik an der Methodik, sondern auch gegen Interpretationen der Studie: "Wir verurteilen, dass interessierte Personen bzw. Organisationen unsere Zwischenergebnisse durch Darstellung bestimmter Teile entstellen, falsche Schlüsse daraus ziehen und Forderungen an die Politik ableiten ... Aus unseren Ergebnissen folgt nicht, dass eine gravierende Beeinträchtigung des Schlafs eintritt, dass tagsüber die Leistung schlechter wird, dass das Immunsystem geschädigt wird, dass Fluglärm krank macht".

Es folgte eine spannende, teilweise sehr emotionale Diskussion.Teilnehmer kritisierten, dass nur gesunde Menschen zwischen 18 und 60 mit relativ geregeltem Lebensablauf in die Studie einbezogen wurden und so eventuelle Risikogruppen nicht erfasst werden. Samel rechtfertigte das mit praktischen Erwägungen, Kinder z.B. könnte man aus ethischen Erwägungen nicht zu solchen Untersuchungen heranziehen. Weiterhin wurde von Teilnehmern bemängelt, dass zumindest in der Zusammenfassung der Ergebnisse der Eindruck vermittelt werde, Fluglärm störe den Schlaf eigentlich ziemlich wenig, während aus den Detailergebnissen doch erhebliche Beeinträchtigungen hervorgehen würden. Dies sei insbesondere wichtig, weil in der Zielsetzung der Studie erwähnt sei, man wolle der Politik Anhaltspunkte für Grenzwerte liefern. Die Wissenschaftler müssten erkennen, dass sie nicht im Elfenbeinturm, sondern auf einem politisch und gesellschaftlich sehr brisanten Gebiet forschen und sich daher auch der Kritik der Öffentlichkeit stellen müssten. Die Entscheidung, Zwschenergebnisse zu veröffentlichen und damit Diskussion zu ermöglichen, wurde vom Publikum ausdrücklich gelobt.

 

Vortrag Priv.Doz. Dr. Christian Maschke, TU Berlin
"Gesundheitliche Auswirkungen von Fluglärm - Ergebnisse ausgewählter Feld- und Laborstudien"

Der bekannte Lärmwirkungsforscher Maschke sieht die schädlichen Wirkungen von nächtlichem Lärm schon als etwas gesicherter an. Verkehrslärm sei ein Stressor und begünstige daher die Entwicklung von Krankheiten, die durch Stress mit verursacht werden, wie zum Beispiel Herz- und Kreislaufkrankheiten oder psychologische Störungen. Es müssten aber weitere Forschungsarbeiten zu den Wirkungen von Fluglärm stattfinden, um die Zusammenhänge genauer zu erfassen.

Maschke hat die Ergebnisse der DLR-Studie in eine Matrix mit weiteren internationalen Studien zu diesem Thema eingeordnet. Danach ergeben sich in vielen Punkten Übereinstimmungen, in einigen Abweichungen, die Studie ordne sich aber durchaus in den größeren Kontext ein.

Als gesichert gelten laut Maschke unter dem Einfluss von nächtlichem Lärm die Beeinträchtigung der Schlafqualität, Aufwachreaktionen (sowohl erinnerbare als auch nur im EEG feststellbare), eine Veränderung der Schlafstadien und eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Auswachreaktionen allein würden noch nicht krank machen, aber erholsamer Schlaf sei an einen ungestörten Ablauf der verschiedenen Schlafphasen gebunden. Nicht erholsamer Schlaf führe auf die Dauer zur Begünstigung diverser Krankheiten, höheren Sterberaten, Erhöhung der Zahl der Unfälle (durch Übermüdung), Medikamentenmissbrauch und psychischen Störungen. Gesundheitsschäden seien nicht auszuschließen, folgerte Maschke. In einer neuen (noch unveröffentlichten) Studie des Umweltbundesamts hätte man langfristige Lärmwirkungen untersucht und eine signifikante Risikoerhöhung gefunden.

Fluglärm kann die Gesundheit beeinträchtigen, fasste Maschke seine Ausführungen mit wissenschaftlicher Vorsicht zusammen. Deshalb sollte die Nachtruhe geschützt werden. Eine langfristige Feldstudie sei erforderlich, um belastbare Beweise zu liefern.

 

Vortrag Dr. Gerda Noppeney, Ärzteinitiative für ungestörten Schlaf Rhein-Sieg-Kreis
"Nachtfluglärm - ein gesundheitliches Risiko?"

Dr Noppeney beurteilte als engagierte Ärztin die Wirkung von nächtlichem Fluglärm nicht so vorsichtig wie die Wissenschaftler - der Schaden ist für sie erwiesen. Nach den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und internationalen ärztlichen Leitlinien sei eine Schlafstörung eine eigenständige, ernst zu nehmende Erkrankung wie z.B. Bluthochdruck. Bedeutend für den Schlaf sei die Schlafkontinuität, die Schlaftiefe und der Schlafrhythmus, nicht die Schlafdauer. Nicht erholsamer Schlaf sei gekennzeichnet durch Fragmentierung, erhöhte Dauer und Anzahl der Wachperioden, gekürzte Tiefschlafphasen und Rhythmusstörungen. Auch Aufwachreaktionen (Arousals) unter 30 Sekunden müssten bei der Beurteilung der Schlafqualität einbezogen werden, was in der DLR-Studie nicht getan wird.

Der gestörte Schlaf sei mit vielen weit verbreiteten Gesundheitsproblemen gekoppelt, wie Bluthochdruck, Depressionen, Tagesmüdigkeit und Leistungsproblemen am Tage. Bei einer Befragung von 1200 Patienten, die im Raum Köln-Bonn von Fluglärm betroffen sind, hätten die meisten Befragten geantwortet, ihre Krankheit verschlimmere sich durch die Einwirkung des Lärms.

Dr. Noppeney schloss ihren Vortrag mit dem eindringlichen Hinweis, dass Schlafstörungen eine eigenständige Krankheit sind und deshalb etwas gegen die Ursachen getan werden müsse. Es sei nicht notwendig zu warten, bis mit letzter Sicherheit nachgewiesen sei, dass ein Herzinfarkt durch den Lärm verursacht worden sei.

 

Vortrag Prof. Dr. Dr. Jörg Berkemann, Bundesverwaltungsgericht Berlin
"Nachtflug contra Menschenwürde? Rechtliche Perspektiven"

Prof. Berkemann, der am Bundesverwaltungsgericht auch mit Lärmfragen, aber nicht mit Fluglärm befasst ist, erläuterte die diffizile rechtliche Problematik der Nachtflüge in einem humorvollen, geistreichen Vortrag. Zu Beginn ging er auf den Begriff "Grundrechte"ein .

Der Zweck der Grundrechte sei es zunächst, die Bürger vor Angriffen durch den Staat zu schützen. Bei der Fluglärmproblematik würde das nur auf militärische Flüge zutreffen. Man könne jedoch die Perspektive erweitern und die Frage stellen "Was tut der Staat, um den Bürger vor Angriffen Dritter zu schützen?". Der Staat habe eine Schutzpflicht für die Bürger, aber zu viel Schutz würde auch die Freiheit des Parlaments zu Entscheidungen einschränken, weshalb man sorgfältig abwägen müsse.

Die Menschenwürde ist laut Berkemann ein altes Konzept. Ein Teil der Menschenwürde ist die Achtung vor der physischen Unversehrtheit des Menschen. Unversehrtheit kann auch heissen, einfach in Ruhe gelassen zu werden (das entsprechende Urteil bezog sich auf Belästigung durch Haustürwerbung). Artikel 2 des Grundgesetzes garantiert das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, wobei bisher der medizinische Aspekt im Vordergrund gestanden hätte. Das Bundesverfassungsgericht hat sich hier noch nicht mit den soziologischen Aspekten der Gesundheit befassen müssen, die im WHO Gesundheitsbegriff auch enthalten sind. Gesundheit für jeden? Für den Durchschnitt? Alles ungelöste Fragen.

Für den Verkehrslärm gäbe es immer noch nicht genug gesicherte empirische Erkenntnisse, erläuterte Berkemann. Richter seien sehr vorsichtig. Wenn die Erkenntnisse nicht gesichert sind, wer trägt das Risiko, bis die Frage entschieden ist? Bei Fluglärm gebe es für die Richter gar keine vernünftige Basis. Das Fluglärmgesetz sei 40 Jahre alt, und das sei ein Skandal. Andauernde soziale Konflikte wie der Verkehrslärm müssten in absehbarer Zeit gelöst werden. Ein neues Fluglärmgesetz sei am Konfilkt über die Verteilung der Kosten gescheitert.

Zum Abschluss seines Vortrage ermutigte Berkemann die Nachtflug-Geschädigten, den Rechtsweg zu beschreiten und den Konflikt bis zum Bundesverfassungsgericht durchzufechten. Bis jetzt sei die Fluglärmproblematik nur vor Verwaltungsgerichten behandelt worden, nicht unter dem Aspekt der Menschenrechte.

Von Zuhörern kam die kritische Anmerkung, im Fall BSE habe man auch weitreichende und teure Massnahmen zum Schutz der Bürger durchgesetzt, ohne dass gesicherte Beweise vorgelegen hätten. Kommentar von Berkemann: man solle die richtigen Politiker wählen!

 

Vortrag von Dr. Karl-Otto Schallaböck, Wuppertal Institut
"Nachtflug schafft Arbeit! - Kritische Anmerkungen zu Präzision und Reichweite betriebsökonomischer Elemente"

Karl-Otto Schallaböck setzte sich mit dem Argument auseinander, dass der Flughafen und speziell die Nachtflüge eine überragende Bedeutung für die Arbeitsplätze und das Funktionieren der Wirtschaft habe. Vor zehn Jahren sei man noch von 1000 Arbeitsplätzen an Flughäfen pro 1 Million Passagiere ausgegangen, mittlerweile sei der Faktor nur noch halb so gross. Der Nachtflugverkehr in Köln sei im wesentlichen Güterverkehr. Vom gesamten Güterverkehr in Deutschland seien nur 2,4% Luftverkehr, im grenzüberschreitenden Verkehr würden sogar nur 2 Promille der Güter mit dem Flugzeug transportiert. Insgesamt habe der Luftverkehr prozentual nur einen sehr kleinen Anteil an der Verkehrsleistung.

Der Luftverkehr sei dennoch wichtig, so zu sagen das "Salz in der Suppe", betonte Schallaböck. Wie beim Salz sei aber eine zu grosse Dosis schädlich oder sogar tödlich. Während beim Salz jeder selbst kontrollieren könne, wie viel er davon isst, gebe es beim Luftverkehr eine teilweise Entkoppelung zwischen den Nutzern und den Belasteten. Zudem sei der Markt hier durch externe Effekte verzerrt.

 

Vortrag von Dr. Günter Klein, Direktor des Europäischen Zentrums für Umwelt und Gesundheit der WHO
"Nachtruhe ist Menschenrecht - eine Thesenreihe"

Ist Nachtruhe Menschenrecht? Ja! Ganz eindeutig beantwortete Günter Klein diese Frage und begeisterte in seinem Vortrag das Publikum durch engagierte Thesen und klare Handlungsempfehlungen.

Von der WHO stammt die umfassende Definition der Gesundheit als "Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Freisein von Krankheit und Gebrechen", und Vorschläge für Lärm-Grenzwerte, die Politiker oft als unrealisierbare Utopie abtun. Günter Klein zeigte, dass er zu diesen Zielen seiner Organisation steht.

"Nachtruhe ohne Lärm ist wie Hühnereier ohne Giftmüll", überschrieb Klein seine Thesen zum Bereich "Menschliche Wertung" des Lärms. Beides sei unter Menschen eine Selbverständlichkeit. Störung des Nachtschlafes ziehe eine Beeinträchtigung des folgenden Tages nach sich.

Das subjektive Erleben der gestörten Nachtruhe sei wissenschaftlich genau so solide wie objektiv durch experimentelle Lärmeinwirkung erzeugte Messwerte. Artifizielle Meßbedingungen produzierten das Ergebnis, aber reflektierten nicht das Geschehen in wirklichen Lebenssituationen. "Zunehmende Lärmsensitivität in der Öffentlichkeit ist kein Problem, sondern eine Errungenschaft", sagte Klein und erteilte damit der gängigen Meinung, Lärm sei eine unvermeidliches Beiprodukt von Zivilisation und Wohlstand, eine klare Absage. Schließlich sei es früher auch ganz normal gewesen, dass viele Kinder früh gestorben seien. Nur dadurch, dass man sich mit diesem Zusatnd nicht abgefunden habe, sei man voran gekommen.

Zum Komplex "Forschung und Wissen" äusserte Klein klare Forderungen. "Experimentelle wissenschaftliche Studien bereichern unser Wissen, aber sie ersetzen es nicht", führte er aus, die Alltagserfahrung der Menschen müsse ebenso berücksichtigt werden. Die versteuten Inseln des Wissens über die Wirkungen von Lärm müssten integriert werden. Schlafforscher, Lärmforscher, Mediziner, Public-Health Forscher, Wirtschaftswissenschaftler, Flugzeugingenieure und andere forschten jeweils auf ihrem Gebiet. Auf der anderen Seite wüssten viele Menschen, was ihnen gut tut. "Die Wissenschaft und das Leben sollten wieder zusammen geführt werden", forderte Klein.

Auch zum Thema "Nachtruhe und Wirtschaft" bezog Klein eine ganz eindeutige Position "Wirtschaftliche und soziale Produktivität beruht auf der Leistung von (ihren Bedürfnissen angemessen) ausgeschlafener und gesunder Individuen", führte Klein aus. Die Ergiebigkeit des Schlafs beeinflusse die (wirtschaftliche und soziale) Ergiebigkeit im Tagesverlauf. Lärm vermindere den Wert (oder die Wertschätzung) von Wohn- und Arbeitsstätten und erzeuge so wirtschaftlichen Schaden.

Lärmprävention zerstört Arbeitsplätze, behindert den Wettbewerb, gefährdet den Erfolg der Wirtschaft? "Totschlagargumente sind destruktiv", wertete Klein solche Argumente. Bei allen bisherigen Umweltverbesserungen sei das Killerargument "Arbeitsplätze" entkräftet worden. "Kein Flughafen musste bisher schließen oder ist bankrott gegangen, weil nachts nicht geflogen wird oder Lärmschleudern nicht starten dürfen". Und nächtliche Flüge zu Dumpingpreisen (für 10 Euro nach Rom) bezeichnete Klein als Wirtschaftskriminalität.

Anspruchsvoller Lärmschutz sei ein Element des bedeutendsten Wirtschaftsfaktors in Deutschland - dem Wirtschaftssektor Gesundheit, wo 16% des Volkseinkommens investiert würden. Investitionen und Innovationen auf diesem Gebiet würden den Wirtschaftsstandort auf die Dauer stärken, schloß der WHO-Chef seinen Vortrag.

Im Anschluss an die Vorträge fand eine Podiumsdiskussion statt, an der neben den Referenten Vertreter des Flughafens, der Bundesvereinigung gegen Fluglärm und des Verkehrsministeriums NRW teilnahmen. Flughafen-Chef Wolfgang Klaptor bestand darauf, der Flughafen sei Teil der Verkehrsinfrastruktur und deshalb müsse auch nachts geflogen werden - es käme schließlich auch niemand auf die Idee, die Autobahnen nachts zu schließen. Jörg Hennerkes vom Verkehrsministerium musste sich heftige Kritik gefallen lassen, weil Nachtflugbeschränkungen blockiert werden und einige wichtige Lärmschutzmaßnahmen, die der Landtag 1996 beschlossen hatte, immer noch nicht umgesetzt sind. Verwaltungsrichter Berkemann erntete dagegen große Zustimmung mit seiner Aussage, unvollständige wissenschaftliche Erkenntnisse seien für die Politik kein Grund nichts zu tun. Der einzelne Betroffene sei nicht in der Lage, den Beweis für Gesundheitsschäden durch Lärm zu erbringen, es sei Aufgabe der Politik, entsprechende Forschung zu fördern. Die Frage des Theologen Crüsemann, wie viele in ihrer Gesundheit geschädigte Menschen ein weiterer Arbeitsplatz der Gesellschaft denn wert sei, blieb unbeantwortet.

Pfarrer Uwe Becker, Veranstalter der Tagung und Vorkämpfer gegen den nächtlichen Fluglärm, äusserte zum Abschluss der Veranstalzung die Hoffnung, den Dialog ein Stück voran gebracht zu haben. In NRW seien Millionen von Arbeitsplätzen vom Strukturwandel betroffen. Sollte es nicht möglich sein, für die 1700 Arbeitsplätze am Flughafen Köln-Bonn intelligente Lösungen zu finden?

Doch wenn man die Aussagen der Politiker gehört hat, kann man daran nicht so recht glauben.


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Nachtflugverbot Erkrankungen durch Lärm Störung des Nachtschlafs Lärm durch Nachtflüge Gesund­heits­gefah­ren durch (Flug-)Lärm Lärmwirkungs-Forschung Gesundheitliche Lebensqualität Weltgesundheits-Organisation (WHO)

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